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Buchtipp: Englische Landschaftsgärten

Angesichts des neuen Buches von Tim Richardson über die englischen Landschaftsgärten mögen einige Menschen gewiss denken, dass es bereits eine umfangreiche Literatur auf diesem Gebiet gäbe. Warum beschäftigt sich ein berühmter britischer Autor und Kritiker nun erneut mit diesem Thema, könnten sie sich fragen.

Eine Antwort ließe sich mit der Lektüre des Buches geben. Vorausschicken möchte ich unbedingt, dass ich die Lektüre auf das wärmste empfehle. Was zum einen an den so klar formulierten Texten von Tim Richardson, großartig übersetzt von Anke Albrecht, ebenso wie an den zahlreichen Aufnahmen der Landschaftsgärten von Clive Boursnell liegt. Das Buch zieht einen förmlich hinein in die Gedankenwelt einer anderen Zeit und breitet Wissen in einer verständlichen und zugleich auf gründlicher Recherche basierenden Herangehensweise aus.

Tim Richardson stellt Gartenkunst als das vor, was sie in der Zeit ihrer Entstehung war: Politik und Auseinandersetzung mit Ideen, Vorstellungen von einer Gesellschaft und ihrer Organisation und vor allem mit den führenden Herrschaftsträgern. Es ist ein Dialog im Grünen, ein kämpferischer Dialog, der zu lesen gelernt werden musste.

Ebenso wie der französische Barockgarten eine politische Dimension besaß, verfügte auch der Landschaftsgarten in seiner ersten Entwicklungsphase über Verknüpfungen mit politischen Aussagen. Was geschah, nennen Gartenhistoriker eine Gartenrevolution. Darüber hinaus war Landbesitz die Basis politischer Macht, die im Parlament ihren Ausdruck fand. Maßgeblich nutzten oppositionelle Whig-Politiker Landschaftsgärten als Orte, ihre kritische Haltung in ästhetischen Gartenarchitekturen mit Bezügen zur Antike zu erschaffen. Auf ihren Landsitzen trafen sie sich mit Gleichgesinnten und bildeten auf gewisse Weise ein zeitkritisches Gegengewicht zum Macht- und Wirtschaftszentrum London. Der so entwickelte Gartentyp avancierte zur Bühne der Macht in einer speziellen Dimension, der diverse Äußerungen und Haltungen zu den Stuarts oder den Hannoveranern in ästhetischen Feinheiten transportieren konnte.

Die Vertreter der liberalen Gesellschaftstheorie entwickelten ihre Konzeption des Staates ebenso wie die der Gartengestaltung als einen Gegenentwurf zum absolutistischen Frankreich mit seinen geometrisch geordneten Barockgärten, in denen die Natur unterworfen wurde. Ihre Ideen basierten auf den Vorstellungen von den althergebrachten Freiheiten des Engländers, wie etwa dem Recht des freien Individuums auf seinen Besitz, dazu die Rede- und Pressefreiheit sowie der Freihandel. Neue wirtschaftliche und soziale Dimensionen entwickelten sich durch die parlamentarisch geförderte Privatisierung von Gemeindeland. Zäune, wie sie auf Thomas Gainsboroughs berühmtem Gemälde Mr. und Mrs. Andrews (1749/50) zu erkennen sind, setzten sichtbare neue Grenzen, die die Landschaftswahrnehmung veränderten.

Richardson zeichnet die Entwicklung der gesellschaftlichen Zustände anhand der im Buch erkundeten zwanzig Landschaftsgärten nach, die sowohl zu den berühmten Gärten ihrer Epoche zählen und darüber hinaus ihre ursprüngliche Gestalt bewahren konnten. Richardson geht von der Tatsache aus, dass diese Gärten von ihren Besitzern in ausgewählter Weise als „lesbare Orte“ (S. 8) geschaffen worden sind. Die Lesbarkeit offenbarte sich jedoch nicht jedem, weder damals noch heute. Verstehen, so Richardson, könne man die Gärten erst, wenn man sich die Biografie derjenigen vor Augen führe, die sie erschaffen haben.

Von Garten zu Garten, von Kapitel zu Kapitel betrachtet er detailliert die Herkunft, Erziehung, Bildung sowie die politischen, gesellschaftlichen und intellektuellen Beziehungen der Besitzer, zuweilen ergänzt durch weitere biografische Informationen über die beteiligten Architekten und Gartendesigner. Sein Ziel ist es, sich der inhaltlichen Bedeutung der Gartenkunstwerke zu nähern, in dem Sinne, wie sie als politische Kommunikation erdacht worden sind. Besonders interessant wird es dabei, wenn er den Dialog der Gärten untereinander betrachtet, denn der spezifische Kreis der Besitzer ließ Staffagebauten, Tempel oder Statuen miteinander in Beziehung setzen, wodurch ihre Ansichten auf malerische Art korrespondierten.

Es ist eine wahre Einladung zum Entdecken der Bedeutungsebenen, die sich in der Gestaltung von Landschaften mit Statuen von Gottheiten, Obelisken und Pyramiden bis hin zu einer ausgeklügelten Wegeführung äußert. Dieses Arkadien war vordergründig von Gottheiten, Hirten, Liebenden und Dichtern bevölkert, versinnbildlichte jedoch eine politisch-ideologische Auseinandersetzung. Die stimmungsvollen Fotografien des großformatigen Bandes verführen zum Schwelgen in der präsentierten Schönheit, was der angestrebten anmutsvollen Wirkungsmacht Resonanz verleiht.

Dieser Text-Bild-Band wird all jenen Freude schenken, die sich mit der Kulturgeschichte der Gartenkunst intensiver beschäftigen möchten. Richardson ist ein sachkundiger Begleiter für einen literarischen Spaziergang auf den Spuren ambitionierter Denker und Schöpfer einer Zeit, deren Spuren in Form pittoresker Landschaftsgärten überliefert wurden, deren Deutung jedoch ohne profundes Wissen allenfalls schemenhaft bleibt. Wer sich das erste Mal mit diesem Thema beschäftigt, hat das Glück, einem sachkundigen Autor folgen zu können, der die Netzwerke der beteiligten Personen sichtbar macht und in die Zusammenhänge der historischen Periode einordnet. So bleiben die nachgezeichneten Charaktere keineswegs papieren, sondern erscheinen in ihrer menschlichen Dimension mit Schwächen und Stärken. Was hier zu lesen ist, setzt die Kenntnis umfangreicher Beschäftigung mit der Thematik voraus.

Lesen Sie, genießen Sie und staunen Sie über die Raffinesse kreativer Geister! Der Band ist in der Tat ein Must-Have für alle Gartenfans und zweifellos für alle England-Fans.

Tim Richardson
Englische Landschaftsgärten
Der Traum von Arkadien
übersetzt von Anke Albrecht
Fotografien von Clive Boursnell
Gerstenberg Verlag
320 Seiten
ISBN 978-3-8369-2211-1

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