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Buchtipp: Sissinghurst. Portrait eines Gartens

Im Frühjahr 1942 sinnierte Vita Sackville-West darüber, ob in fünfzig Jahren überhaupt jemand ihren geliebten Garten bewundern würde. Gerade dann könnten sich doch ihre Enkelkinder an den schönen, großen, blühenden Bäumen erfreuen. Welcher Gärtner träumte nicht davon, dass ihr oder sein Werk die Zeiten überdauern möge.

Im Falle des in Kent gelegenen Sissinghurst Castle Gardens ging dieser Traum in Erfüllung. Im Jahr des 125. Geburtstages der berühmten Schriftstellerin Vita Sackville-West besuchen Tausende von Menschen den Garten, der jedoch wohl eher als Gemeinschaftswerk von Vita Sackville-West und ihrem Ehemann, dem Diplomaten und Autor Harald Nicolson, zu bezeichnen sein sollte. Dieser Garten zählt zu Englands schönsten, inspiriert Gartenenthusiasten ebenso wie Sommerfrischler zum Schwärmen und Genießen. Darüber hinaus hat er eine spannende Geschichte, die von Plänen, Entwürfen, Veränderungen, Experimenten und einer faszinierend unkonventionellen Ehe zwischen zwei klugen, selbständigen Individuen erzählt. Was beim Gartenspaziergang wie beim Lesen die Frage provoziert, ob nun der Garten oder die Ehe das interessantere Phänomen wäre.

Passend zu diesem Jubiläum der schreibenden Gärtnerin Vita Sackville-West erscheint im Schöffling Verlag eine Neuauflage jener Auszüge aus Briefen und Tagebucheintragungen, aus Zeitungs- und Hörfunkbeiträgen der Eheleute Nicolson und Passagen des Buches von Nigel Nicolson „Portrait einer Ehe“. Gesichtet, ausgewählt und zusammengestellt hat sie Julia Bachstein vor zwanzig Jahren nach einem Besuch beim Sohn des Paares Nigel Nicolson.
Die klug und feinfühlig ausgewählten Bekenntnisse und Betrachtungen schildern, wie die Idee von einem Garten nach dem 1930 erfolgten Ankauf des einstigen Tudor-Herrenhauses samt Garten, der einem Schuttabladeplatz glich, Jahr für Jahr Gestalt annahmen. Zu lesen ist davon, wie Blumen gesät, Bäume gepflanzt, Gräben gezogen wurden, wie der Garten während des Krieges direkt in der Einflugschneise deutscher Bomber auf dem Flug nach London lag und wie er nach dem Krieg allmählich einer wachsenden Öffentlichkeit bekannt wurde und zahlreiche Besucher anzog, die die gärtnernde Schriftstellerin entsprechend des zu zahlenden Eintrittsgeldes „Shillings“ nannte. Zugleich entfaltet sich vor dem hortikulturellen Hintergrund eine sensible, von inniger Liebe und großem Vertrauen erfüllte Beziehungsgeschichte zweier Menschen, die außerhalb ihrer Ehe zahlreiche, auch gleichgeschlechtliche Affären pflegten.

In den Tagebüchern und Briefen von Vita Sackville-West und Harald Nicolson kreist ihre Liebe zum Garten um ihre Liebe zueinander. Dabei haben sie die Aufgaben aufgeteilt: Er entwirft, Sie pflanzt. Wenn es gegenteilige Ansichten gibt, werden die Argumente ausgetauscht, zuweilen Distanz gesucht bis sich der eine oder andere durchsetzen kann. Zwischen ihrem Turm und Schreibrefugium und seinem Lindengang wandeln anrührende emotionelle Botschaften. Als wenn dieses Dornröschen – das nach Befreiung schrie, wie Vita Sackville-West einst schrieb – sich während des Grabens, Pflanzens und Jätens zum irdischen Hort einer ganz und gar unkonventionellen Beziehung verwandelte.

Dabei spiegelt Sissinghurst für das Paar mit seinen typischen Gartenräumen zwischen den einzelnstehenden Wohngebäuden und der legendären Extravaganz des wohlkomponierten Weißen Gartens, wie an wenigen Orten großer Lieben und Sehnsüchte, die Erinnerung an ein schreibendes Paar. Sie in Kniebundhose aus Kammgarn, hohen Stiefeln mit einem Schaft aus Segeltuch und einer nach ihren Entwürfen eingenähten Tasche für Gartenscheren, dazu in Bluse, grober Jacke oder Weste und mit Perlenkette und langen Ohrringen. Er als geschäftiger Londoner, der sich übers Wochenende traditionell aufs Land zurückzog. Ein Paar, das sich im Übrigen kaum hätte vorstellen können, als Schöpfer dieses grünen Kunstwerkes unsterblich zu werden.
Energisch verwarf die Schriftstellerin allein den Gedanken „diesen schrecklichen Garten“, wie sie ihren Lebenstraum liebevoll nannte, dem National Trust anzuvertrauen. Der wacht durch die kluge Entscheidung ihres Sohnes Nigel Nicolson schon ein halbes Jahrhundert über Sissinghurst und reguliert behutsam die Besucherströme, um die fragile Schönheit des Gartens zu erhalten. Was für ein Glück. So inspiriert dieser liebevoll gestaltete kleine Band samt Lesebändchen zu einer Gartenreise nach Kent, die unweigerlich während der Lektüre erwacht und nicht zu bändigen ist.

Sissinghurst. Portrait eines Gartens
Vita Sackville-West & Harald Nicolson
Zum 125. Geburtstag von Vita Sackville-West. Zusammengestellt von Julia Bachstein
Aus dem Englischen von Susanne Lange
160 Seiten. Schön gebunden. Lesebändchen.
€ 12,00 €[A] 12,40
ISBN: 978-3-89561-655-6

Herzlichen Dank an den Verlag Schöffling & Co. für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

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2 Antworten zu “Buchtipp: Sissinghurst. Portrait eines Gartens”

  1. Editha Weber sagt:

    Dann nichts wie hin! Es lohnt sich. LG EW

  2. Greta Meiser sagt:

    Toll, dieser Garten steht schon lange auf meiner Wunschliste. Da möchte ich hin!

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