Ein Garten ist ein Stück gestaltete Natur, kleiner, überschaubarer in der Regel, aber gleichfalls wie Felder und Wälder, die vom Menschen seit langer Zeit geformt und bewirtschaftet werden. War ein Garten von je her in erster Linie ein Ort, der zur Ernährung ebenso wie zur Hilfe bei Krankheiten diente, entwickelten Menschen Arbeitsweisen und Gestaltungsvorstellungen, die sich entsprechend der wirtschaftlichen, technischen und sozialen Bedingungen unter denen sie lebten und leben, herausbildeten und wandelten.
Ein Garten kann ein Kunstwerk sein, kann praktisch und ökonomisch sein, aber er verändert sich von Jahreszeit zu Jahreszeit ebenso wie unter den Händen, die ihn pflegen und nutzen. Pflanzen verweilen oder verschwinden jedoch durchaus nach eigenem Belieben. Wodurch für den Menschen nicht immer sichtbar oder nachvollziehbar ist, warum sie sich gerade hier und nicht woanders wohlfühlen, ausbreiten oder eingehen. Natur und Menschen sind an diesem Wandel beteiligt. Wer einen Garten lange genug beobachten kann, wird seine Veränderungen wahrnehmen können. Das mag nicht immer möglich sein, aber gerade wenn man die Chance erhält, den Wandel zu begleiten, zeigt sich, wie kulturhistorisch spannend der Prozess der Veränderung ist.
Katrin de Vries hat in ihrem Buch „Ein Garten offenbart sich. Erzählung von einem anderen Leben“ auf beeindruckende Weise die Geschichte eines Gartens im Wandel erzählt. Dabei war sie selbst Handelnde und Beobachtende. Ihre Erzählung offenbart allerdings weit mehr als die Geschichte eines Gartens. Sie übernimmt ihn, entdeckt ihn Stück für Stück und erinnert sich in der Annäherung an den Garten an eigene Beobachtungen früherer Zeiten, an Kindheit und Jugend, an den Umgang mit Gärten und Natur in der Vergangenheit. Immer wieder gelingen ihr sehr poetische Bilder, die die Bedeutung eines Stückchen Erde für den Einzelnen einfangen. Dabei erzählt sie ruhig und erfüllt von großer, ja von wachsender Liebe für den Garten, den sie nun selbst gestalten kann.
Mit jeder Pflanze, die sie betrachtet, ihren Nutzen wie ihre Schönheit erfasst, sei es Giersch, Löwenzahn, Bärlauch, reist sie in die Vergangenheit der Menschheit. Wie komplex die Beziehungen der Menschen zu ihrer Umwelt sind, lässt sich anhand jeder noch so kleinen Pflanze entdecken. Das ist faszinierend zu lesen – und führt durch die Kulturgeschichte ebenso wie durch die Geschichte der Botanik. Allerdings muss man sich darauf einlassen wollen, was bedeutet, man blickt auf Blatt und Blüte ebenso wie in die Welt und ihre Vergangenheit.
Der Schriftstellerin Katrin de Vries ist mit diesem Werk ein sehr persönliches Gartenbuch geglückt, das eine kritische, aber auch eine hoffnungsvolle Perspektive präsentiert. Es ist mit Sicherheit kein Gartenratgeber oder ein Wohlfühlbuch, vielmehr eine atmosphärische Gartenreise in die Vergangenheit, die zur Natur führt, dessen Teil wir Menschen sind. Der Garten der Autorin befindet sich in Ostfriesland, das klimatisch und geografisch sowie historisch bedingt hier in einzigartiger Weise zu erleben ist, was natürlich dazu inspiriert, sich auf die Erkundung und Entdeckung der eigenen gärtnerisch-familiären oder landschaftlich-territorialen Vergangenheit einzulassen. Also los, ab ins Grüne!
KATRIN DE VRIES
Ein Garten offenbart sich
Erzählung von einem anderen Leben
240 Seiten
dtv Verlag
ISBN : 978-3-423-44426-2