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Buchtipp: Wie das Vorüberschweben eines leisen Traumbilds

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Wörlitzer Gartenschöpfer Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau hat sich einen Traum erfüllt – und Goethe hat diesen im Brief an Charlotte von Stein mit den Worten: „Hier ists iezt unendlich schön“ poetisch erfasst. Diese Zeilen klingen nach, sind im Wörlitzer Garten verewigt und fehlen wohl in keinem Gartenreiseführer. Dass Goethes Verhältnis zum Fürsten und seine Wahrnehmung des Gartenreiches komplex und nicht unproblematisch waren, wird kaum jedem Goethe-Leser oder Wörlitz-Spaziergänger präsent sein.

Fürst Franz wurde von seinen Zeitgenossen hochgeschätzt. Er galt als geistreich, weltgewandt, verantwortungsbewusst und war dem großen Experiment seiner Zeit, der Aufklärung, tatkräftig zugewandt: ein aufgeklärter Herrscher. Der Dichter Christoph Martin Wieland lobte ihn als „Zierde und Inbegriff des XVIII. Jahrhunderts“. Seiner umfangreichen aufklärerischen Reformprojekte wegen schätzte Goethe in dem „wohladministrierten und zugleich äußerlich geschmückten“ Kleinstaat das Vorbildhafte für die Herrscher seiner Zeit. Das siebenhundert Quadratkilometer umfassende, von etwa 35000 Menschen bewohnte Fürstentum verwandelte der Fürst in ein Musterländchen. Das Schöne und das Nützliche nach dem Horaz`schen Satz vereinend, lebte und wirkte er. Seine Untertanen nannten ihn den „guten Vater Franz“ – wie nicht wenige ihrer Nachfahren bis heute.

Nicht lange nachdem Goethe im November 1775 auf Einladung des Herzogs nach Weimar gekommen war, entdeckte er die Lust, in der Natur zu sein. Im Frühjahr 1776 stand ein Garten am Stern zum Verkauf, der bald der seine wurde und ihm Raum gab, gestalterisch zu wirken – im Freien und auf eigenem Grund. Goethe machte sich ein kleines Stückchen Erde zu eigen, erfreute sich an der belebenden Kraft seiner Beete, Blumen und dem Schlafen unterm Sternenhimmel. Was er im Mai 1778 beim Spazieren durch den Wörlitzer Garten empfand, berührte ihn tief, doch seine Sicht auf Garten und Welt wandelte sich in seinem recht langen Leben immer wieder. Goethes Verhältnis zur Natur führte ihn zu intensiven naturwissenschaftlichen und botanischen Studien sowie zu einer poetisch erlebten Naturwirklichkeit. Nach seiner Rückkehr aus Italien nahm er immer mehr Abstand von der Idee des Landschaftsgartens.

Trotzdem beeinflusste das Wörlitzer Gartenreich und dessen Wirkung auf die gebildete Öffentlichkeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts auch das Werk Goethes. Seine „Wahlverwandtschaften“ zeugen davon. Im Dienst des Weimarer Herzogs hielt sich Goethe mehrmals in der Fürstenresidenz Anhalt-Dessau auf und besuchte viermal das Wörlitzer Gartenreich. Detlef Jena ist Goethes Spuren gefolgt, hat Briefe, Werke, Notizen gelesen, quellenkritisch analysiert, Freunde, Vertraute und Stimmen der Zeit betrachtet und befragt. Was er auf diese Weise an Erkenntnissen gewinnt und an Wissen zusammenträgt, beleuchtet in der Tat bisher wenig beachtete Zusammenhänge.

Es gelingt dem Autor, sich dem wahrlich intensiv erforschten Dichterfürsten mit spannenden Betrachtungen zum Gartenreich wie zum Fürsten Franz zu nähern. Gerade weil der Autor dabei so viele Zeitgenossen in den Blick nimmt und sowohl politisch-gesellschaftliche wie ästhetisch-literarische Themenbereiche eröffnet, ist das Lesen dieses Buches ein großer Genuss. Es entführt einen mitten in diese aufregende Zeit der Veränderungen auf allen Gebieten, in diese Zeit, wo sich vieles bewegte, Formen gesucht und neue Wege erkundet wurden. Diese Lesereise in die Vergangenheit erfordert natürlich etwas Konzentration, dafür wird der Leser mit Einsichten und Verknüpfungen belohnt, die die zukünftigen Leseerlebnisse mit Goethes Werk und den nächsten Besuch im Wörlitzer Gartenreich verändern, ja bereichern werden. Dieses Buch ist definitiv das richtige Geschenk für jeden lesehungrigen Bildungsbürger.

Detlef Jena
Wie das Vorüberschweben eines leisen Traumbilds
Goethe, Weimar und das Wörlitzer Gartenparadies
Weimarer Verlagsgesellschaft
272 Seiten
EAN: 978-3-7374-0255-2
Herzlichen Dank an die Weimarer Verlagsgesellschaft für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

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