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Buchtipp: Talent kennt kein Geschlecht

Die Malerei war jahrhundertelang durch männliche Künstler geprägt. Frauen hatten es außerordentlich schwer, künstlerisch tätig zu werden oder gar Erfolg zu haben. Die Liste berühmter Künstlerinnen ist überschaubar, angefangen bei Artemisia Gentileschi, Élisabeth Louise Vigée Le Brun oder Angelika Kauffmann. Wendet man sich der Kunstepoche der Romantik zu, werden so manchem Kunstbegeisterten wohl eher Darstellungen sanftmütiger zarter Frauenfiguren als die Namen von Künstlerinnen dieser Zeit vor Augen treten.

Das lässt sich ändern. Im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt waren bis vor Kurzem die Werke von Malerinnen in der Ausstellung „Talent kennt kein Geschlecht. Malerinnen und Maler der Romantik auf Augenhöhe“ zu betrachten. Das Museum Georg Schäfer wurde im Jahr 2000 in einem architektonisch viel beachteten Meisterwerk von Volker Staab eröffnet. Der Museumsbau beherbergt eine einzigartige Sammlung deutscher Malerei und Zeichenkunst von 1760 bis 1930, darunter befinden sich Werkgruppen einzelner Maler, wie z.B. Caspar David Friedrich, Carl Spitzweg, Ferdinand Waldmüller, Adolph von Menzel bis zu den Impressionisten Max Slevogt, Lovis Corinth und Max Liebermann. Angelegt wurde die Sammlung ab den 1950er Jahren von dem Schweinfurter Großindustriellen und Sammler Dr.-Ing. e.h. Georg Schäfer (1896-1975).

Unter dem Ausganspunkt „Talent kennt kein Geschlecht“ wurden die Arbeiten von 16 Malerinnen – darunter Angelika Kauffmann, Caroline Bardua, Marie Ellenrieder und Louise Seidler – denen von 20 Malern aus der Zeit der Romantik gegenübergestellt. Dabei wurden für diese Ausstellung insgesamt 40 Arbeiten, hauptsächlich Gemälde, aus 23 Museen, Kirchen und privaten Sammlungen geliehen und mit 50 Arbeiten aus dem Museum Georg Schäfer vereint. Ein bedeutender Teil der Werke war bisher noch nicht öffentlich ausgestellt worden. Bemerkenswert ist ebenso die Kombination der Werke anhand vergleichbarer Themen und Techniken.

In der historischen Rückschau wird insbesondere die Frage aufgeworfen, ob es einen weiblichen und einen männlichen Blick gegeben hat. Zumal es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Aufbruch der Malerinnen gab. Sie nahmen Kontakt zueinander auf, tauschten sich aus, bündelten ihre individuellen Kräfte. Trotzdem erschien selbst manchem zeitgenössischen Künstler das Werk einer Künstler-Kollegin nicht als Kunst ihrer Zeit, sondern als Kunst einer Frau. Rollenbilder, Vorurteile wie traditionelle Verhaltensnormen prägten diese Einschätzungen, wenn etwa Wilhelm von Kügelgen die Arbeit von Caroline Bardua in folgender Weise würdigte: „An Ausdauer, Fleiß und Konzeptionsfähigkeit übertraf sie ihr Geschlecht“.

Ob es überhaupt eine geschlechtsspezifische Kunst gab, kann der Betrachter von heute angesichts der präsentierten Kunstwerke selbst beurteilen – wenn auch momentan nicht vor Ort. Fachkundige Begleitung bietet der parallel zur Ausstellung im Hirmer Verlag erschienene, ebenso sorgfältig wie reichhaltig bebilderter Katalog. Obwohl die Themenkreise der Ausstellung von der Stilllebenmalerei über höfische Porträts, Familie und Geselligkeit bis hin zu Italien und Raffael als Vorbild aufgegriffen werden, schärfen die Autorinnen und Autoren durch ihre profunden Analysen der künstlerischen Arbeiten insbesondere den Blick der Betrachter.
Letztlich zeigen sich im Vergleich hinsichtlich der Themenbehandlung, der Qualität wie auch der Bildtraditionen von ca. 1770 bis 1840, in der Gegenüberstellung von weiblichen und männlichen Künstlern, Gemeinsamkeiten wie Unterschiede auf pointierte Weise. Wobei insbesondere die gestalterische Annäherung, das genaue Betrachten der Abbildungen die Freude am Erkenntnisprozess befördert. Doch nicht allen die Gemälde fesseln, sondern ebenso sehr die biografischen Details, die die Persönlichkeiten der Künstlerinnen würdigen, deren Weg oft voller Rückschläge war. Indem in diesem Band Bild an Bild die Werke von Malerinnen und Malern der Romantik zu sehen sind, können Betrachter sich vertiefen und ihren eigenen Blick schärfen. Dieser Katalog ist eine Einladung, mit Blicken auf Reisen in die Bilderwelten der Romantik zu gehen! Sind diese Blicke weiblich oder männlich? Sind die Motive von Frauen oder Männern gemalt? Gibt es weibliche und männliche Kunst? Decken Sie die Bilderklärungen ab und schauen Sie.

Liste der Künstlerinnen und Künstler:

CAROLINE BARDUA | JULIE GRÄFIN VON EGLOFFSTEIN | MARIE ELLENRIEDER | ELECTRINE VON FREYBERG | MARGARETHE GEIGER | ANGELIKA KAUFFMANN | BARBARA KRAFFT | LUDOVIKE SIMANOWIZ | LOUISE SEIDLER | CATHARINA TREU | ERNESTINE WENDEL U. A.

CARL BLECHEN | CONRAD GEIGER | GEORG MELCHIOR KRAUS | FRANZ KRÜGER | JOHANN HEINRICH RAMBERG | FRIEDRICH WILHELM VON SCHADOW | JOSEPH KARL STIELER | JOHANN FRIEDRICH AUGUST TISCHBEIN | JOHANN ELEAZAR ZEISSIG U. A.

Talent kennt kein Geschlecht
Malerinnen und Maler der Romantik auf Augenhöhe
Hg. Wolf Eiermann
Beiträge von Wolf Eiermann, E. Hornung, B. Kovalevski, A. Reuter
208 Seiten, 185 Abbildungen in Farbe
24 x 28 cm, gebunden
ISBN: 978-3-7774-3508-4
Hirmer Verlag, München

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