„Goldenes Engelköpfchen“, sagte Großmutter zu Anna, wenn das Kind brav war. Ein „Engelköpfchen“, „in Gold“? Ein liebevoller Kosename aus einer längst vergangenen Zeit. Engel – die himmlischen Wesen, zeitlos schön, herrlich anzuschauen, Boten Gottes, Beschützer der Menschen. Aber ein „Engelköpfchen“? Sagt das heute noch jemand? Sicher ist, in dieser stimmungsvollen Adventszeit lächeln uns bezaubernde Engel mit großen Kinderaugen von überall her an. Engel mit großen und kleinen Flügeln, in Glas, Porzellan, Keramik wie aus Schokolade, Marzipan und Lebkuchen sind zu entdecken. Woher kommen sie? Wie lange begleiten sie uns schon? In welcher Erscheinung treten sie auf?
Geflügelte Wesen sind bereits in vorchristlichen Gesellschaften zu finden. Die ältesten Darstellungen von Engeln in der christlichen Kunst des 3. Jahrhunderts zeigen bartlose Männer, ohne Flügel. Im 4. Jahrhundert lassen sich erstmals geflügelte Engel entdecken. Seit dieser Zeit treten sie mit Flügeln und flügellos auf und verändern ihr Aussehen in der Kunst immer wieder. In der Ostkirche tragen Engel häufig einen Heiligenschein, während dies in der Westkirche nur selten zu beobachten ist.
Die romanische Kunst präsentiert Engel vor allem als dienende Wesen, die wichtige liturgische Funktionen inne haben. Manche Engel übernehmen nun menschliche Züge. Gotische Engel zeigen sich in Antlitz und Gestalt stark vom höfischen Schönheitsideal beeinflusst. Mit dem Kinderengel erscheint ein neuer Typus. Wie in der antiken Kunst beginnen Künstler Engelsköpfe mit Flügeln dazustellen. In der Spätgotik hat sich der geflügelte Engel in der Darstellung allgemein durchgesetzt. Zugleich erscheint er in dieser Zeit in einer neuen, profanen Funktion als Wappenhalter.
Der Engel der Renaissance ist gefühlvoll. Er tröstet die Menschen voller Anteilnahme an ihrem Leid. Seine Gestalt passt sich erneut den gewandelten Schönheitsidealen an: schöne Jünglinge, grazile Mädchen und niedliche Kinder zeigen sich uns. Demgegenüber begegnet uns der Engel im Barock insbesondere als Gefährte des Menschen: der Typus des Schutzengels erscheint. Modisch werden zugleich Engel als geflügelte Athleten und als Putten. Die Darstellungsweise geflügelter Engelsköpfe ist ebenfalls sehr beliebt. Die Ostkirche folgt diesen Veränderungen nicht: Engel tauchen in zeitlos feierlicher Gestalt auf.
Im 19. Jahrhundert greifen Künstler in der Darstellung der himmlischen Wesen auf Vorbilder aus der Zeit des Mittelalters und der Renaissance zurück. Junge, schöne Frauen und Männer mit zart weißen oder regenbogenfarbenen Flügeln, aber auch ganz ohne Flügel prägen die Vorstellungen der Zeit. Einige Künstler suchen nach neuen Ausdrucksformen, in denen Aspekte wie Licht und Bewegung eine bedeutende Rolle spielen. Die Vielgestaltigkeit der Engel, die in dieser Epoche dominiert, setzt sich im 20. und 21. Jahrhundert fort.
Und das „goldene Engelköpfchen“? Das mag um 1900 ein sehr beliebtes Motiv gewesen sein, so dass es in die Sprache eingeht. Zu dieser Zeit ist Annas Großmutter selbst ein kleines Mädchen. In den seltenen Momenten, wenn ihre Mutter nicht auf die Arbeit in Haus, Garten und Hof konzentriert ist und sich um die große, viel Aufmerksamkeit erfordernde Kinderschar sorgt, ruft sie das blondgelockte Mädchen liebevoll „Goldenes Engelköpfchen“. Die Jahre vergehen, die Mutter stirbt früh und die Zeiten ändern sich rasant. Was bleibt ist ein Kosename, der die Erinnerung an mütterliche Liebe bewahrt.
Vielen Dank!
Liebe Editha,
habe erst jetzt deine “Engelsbotschaft” gelesen – wunderschön!!!
Karin
Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Dr. Weber,
ein ganz hervorragender Beitrag.
Die Erläuterungen über die Engel in den unterschiedlichen Epochen sind eine Zeitreise. Ich danke Ihnen.
Wie schön!
Mein Freund nennt mich manchmal auch goldenes EngelKöpfchen….nun weiß ich auch warum…
Sehr schön geschrieben… 🙂