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Eine Geschichte des Reisens

 

… ist eine Geschichte der Menschheit. Menschen waren in Bewegung, um Nahrung zu finden, Kleidung, Werkzeuge, Rohstoffe zu kaufen, Ideen über Götter und menschliches Zusammenleben zu verbreiten oder um auf Kriegszügen, Beute zu machen und Land zu erobern. Bewegung kennzeichnete zu allen Zeiten das Dasein vieler Menschen. Die Erschließung der Welt in der geistigen Form der Welterkenntnis wie in der verkehrstechnischen Anlage von Straßennetzen wie Kanälen veränderte stets das Reisen.

Waren Pilger, Kaufleute und Studenten im Mittelalter auf unsicheren Wegen durch dunkle Wälder und über gefährliche Alpenpässe unterwegs, reisten junge Adlige des späten 16. Jahrhunderts in Begleitung ihres bürgerlichen Tutors bereits recht planmäßig zu den vornehmen Höfen in Paris und Wien oder nach Rom und Florenz. Die jungen Herren schlossen mit dieser seit dem späten 17. Jahrhundert als Grand Tour bezeichneten Reise ihre Ausbildung ab. An den Höfen bedeutender Herrscher sollten sie ihre Manieren verfeinern und im besten Falle politische Beziehungen knüpfen, die ihnen in ihrer zukünftigen Stellung als regierender Fürst Allianzen oder wenn möglich eine Braut aus höchsten Kreisen bescherten. Junge Patrizier folgten diesem Beispiel, besichtigten Schlösser, Kirchen sowie berühmte Städte und suchten die Bekanntschaft mit bedeutenden Gelehrten, Philosophen und Dichtern. An die Höfe waren sie im allgemeinen nicht geladen.

Das 18. Jahrhundert galt mit zunehmender Verbesserung der Verkehrsbedingungen als das Goldene Zeitalter der Reisens und der Reiseliteratur. Reisebriefe entwickelten sich zu einer literarischen Darstellungsform, die in der europäischen Öffentlichkeit hohes Ansehen genoss. War es zu Beginn des Jahrhunderts das Interesse an Geografie, Lebensart der Bevölkerung und wirtschaftlicher Entwicklung des jeweils bereisten Landstrichs, interessierte sich der Leser ab der Jahrhundertmitte immer stärker für das reisende Individuum. Was erlebte, fühlte, dachte der Reisende? Welche Begegnung erfreute, ängstigte oder irritierte ihn? Um Land und Leute genauer kennen zu lernen, wanderten deutsche Autoren durch Städte und Dörfer und notierten präzise ihre Beobachtungen und protokollierten detailliert ihre Gespräche mit Bauern, Pfarrern und Handwerkern.

Der Beginn des 19. Jahrhunderts verlief in den Jahren der Napoleonischen Kriege in der Form, dass unzählige Menschen infolge der Kriegszüge in Bewegung waren. Die Welt beschaulicher Kleinstädte und Dörfer war in Auflösung begriffen. Um 1800 taucht das Wort „Tourismus“ zunächst in englischen Enzyklopädien auf. Die an den Rhein reisenden Engländer werden sogleich zu den ersten Touristen, die in jeder Form das Bild dieses neuen gesellschaftlichen Phänomens prägen. Vergnügungsreisen, die den Aspekt der Bildungsreise oft miteinschließen, stellen eine „Gegenwelt zur Normalität“ dar, die nicht nur Fontane zu kritischen Kommentaren reizt. „Alle Welt reist“, klagt er. „So gewiß in alten Tagen eine Wetter-Unterhaltung war, so gewiß ist jetzt eine Reise-Unterhaltung. ‚Wo waren Sie in diesem Sommer‘; heißt es von Oktober bis Weihnachten; ‚wohin werden Sie sich nächsten Sommer wenden?‘ heißt es von Weihnachten bis Ostern.“ Seiner Ansicht nach betrachteten viele Zeitgenossen elf Monate des Jahres nur als eine Vorbereitung für den zwölften, der auf die Höhe des Daseins führe.

Industrialisierung und Kommerzialisierung formten die Reise zu einer luxuriösen Ware, die man sich leisten kann oder nicht. Der Baptistenprediger und Tischler Thomas Cook eröffnet 1845 in England das erste Reisebüro und der Londoner Verleger John Murray gibt 1836 mit rotem Einband ein erstes griffiges Reisehandbuch heraus, das zum Vorbild für den Baedeker wird. Sterne markieren fortan für den reisenden Leser die unverzichtbaren Sehenswürdigkeiten, die auf zeitlich knapp bemessenen, finanziell kühl kalkulierten Reisen im Mittelpunkt stehen. Nur wer den Tower von London, den Eifelturm in Paris oder das Brandenburger Tor in Berlin gesehen hat, kann mitreden. Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die im 20. Jahrhundert dazu führt, dass immer größere Teile der Bevölkerung reisen können und der Tourismus in zahlreichen Ländern der Welt zu einem wichtigen Wirtschaftssektor wird.

Veröffentlicht unter Allgemein, Auf Reisen | Verschlagwortet mit , | 5 Kommentare

5 Antworten zu “Eine Geschichte des Reisens”

  1. Editha Weber sagt:

    Wow, I thank you for your interest in my texts. Please use my email it you like.

  2. Editha Weber sagt:

    Vielen Dank. Liebe Grüße Editha

  3. Andreas sagt:

    Guter Beitrag Editha, kurz und prägnant.

  4. Von diesem Beitrag bin ich total begeistert.
    Es ist beeindruckend, wie die Geschichte des Reisens in dieser kurzen Darstellung lebendig wird.

  5. Saskia sagt:

    Ich muss gestehen, ich war nie ein Fan von Geschichte… Aber nun 🙂 MEHR DAVON!!

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